Vorlesen

Wichtige Rechtsthemen

Erweitertes polizeiliches Führungszeugnis für "kinder- und jugendnahe Tätigkeiten"

Bereits am 14. Mai 2009 hatte der Bundestag (BT) Änderungen im Bundeszentralregistergesetz (BZRG) beschlossen, die bereits am 16. Juli 2009 als "Fünftes Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes" (BZRG) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden. Diese sind am 1. Mai 2010 in Kraft getreten.

Mit der Änderung  ist ein sog. erweitertes Führungszeugnis für kinder- und jugendnahe Tätigkeiten eingeführt worden. Sinn ist es, Arbeit- und Dienstgebern in einem höheren als dem bisherigen Umfange zu ermöglichen zu eruieren, ob Stellenbewerber bzw. Mitarbeiter wegen bestimmter Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen vorbestraft sind. Damit werden Vorgaben des Bundesjustizministeriums umgesetzt: Bundeskanzlerin und Regierungschefs der Länder hatten bereits am 12. Juni 2008 einen Beschluss vorbereitet, der diese Neuregelung als wichtigen Teil eines wirksamen Schutzes der Kinder und Jugendlichen vorsah.

Der Wortlaut des neuen § 30a des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) lautet wie folgt:

§ 30a Antrag auf ein erweitertes Führungszeugnis
(1) Einer Person wird auf Antrag ein erweitertes Führungszeugnis erteilt,
1. wenn die Erteilung in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist oder

2. wenn dieses Führungszeugnis benötigt wird für
a) die Prüfung der persönlichen Eignung nach § 72a des Achten Buches
Sozialgesetzbuch ¿ Kinder- und Jugendhilfe ¿,
b) eine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung,
Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger oder
c) eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen.

(2) Wer einen Antrag auf Erteilung eines erweiterten Führungszeugnisses stellt, hat eine schriftliche Aufforderung vorzulegen, in der die Person, die das erweiterte Führungszeugnis vom Antragsteller verlangt, bestätigt, dass die Voraussetzungen nach Absatz 1 vorliegen. Im Übrigen gilt § 30 entsprechend.

I. Was ist Inhalt eines solchen "erweiterten Führungszeugnisses"?

Grundsätzlich werden Erstverurteilungen nur dann in ein polizeiliches Führungszeugnis übernommen, wenn das Strafmaß 90 Tagessätze oder drei Monate Freiheitsstrafe übersteigt. Abweichend davon wurden jedoch auch schon bislang strafmaßunabhängig bei bestimmten Delikten sämtliche Verurteilungen aufgenommen, und zwar bzgl. der Sexualstraftaten nach den §§ 174-180, 182 des Strafgesetzbuches (StGB)
Für das erweiterte Führungszeugnis wird dieser strafmaßunabhängige Katalog nunmehr erweitert um kinder- und jugendschutzrelevante Verurteilungen wegen Straftaten nach den §§ 171, 180a, 181a, 183 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 StGB.

Beispiel:
Jemand wird wegen der Verbreitung von Kinderpornographie zu 50 Tagessätzen verurteilt. Bislang wäre eine solche Verurteilung nicht im Führungszeugnis enthalten gewesen, nunmehr ist dies anders. Der potentielle Arbeitgeber erhält jetzt auch bzgl. dieser Verurteilung Kenntnis.

II. Um wen geht es?
Das neue "erweiterte Führungszeugnis" wird nach dem neuen § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) erteilt,

1. demjenigen, der eine Tätigkeit ausüben will, die geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen, wie die berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger.
Das sind:

a.    Pädagogisches Personal bzw. Erzieher in
       aa. Kindergärten,
       bb. Kinderheimen
       cc. Jugendheimen,
b.    Pflegepersonen für die Kindertages- und Vollzeitpflege,
c.    Jugendsporttrainer/innen,
d.    Leiter/-innen von Kinder- und Jugendfreizeitgruppen, aber auch
e.    Schulbusfahrer/innen,
f.    Bademeister in Schwimmbädern,
g.     usw.

Für die Kinder- und Jugendhilfe ist durch § 72a des achten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) geregelt, welcher Personenkreis verpflichtet ist, ein Führungszeugnis vorzulegen. Arbeitgeber sind gehalten, sich von (potentiellen und bereits eingestellten) Mitarbeitern/-innen, die kinder- und jugendnahe Tätigkeiten ausüben, ein entsprechendes Führungszeugnis vorlegen zu lassen, um sich deren Eignung für eine solche Tätigkeit zu vergewissern.

2. wenn dies in einem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist.
Beispiele:
Die praktisch bedeutsamste Vorschrift ist § 72a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII). Sie richtet sich an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die für die Wahrnehmung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe keine Person beschäftigen oder vermitteln dürfen, die rechtskräftig wegen einer bestimmten Straftat verurteilt worden ist (in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung: Straftaten nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f oder den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 StGB). Ein vergleichbares Beschäftigungsverbot enthält auch § 25 Jugendarbeitsschutzgesetz für Personen, die Lehrlinge ausbilden;

III. Was gilt für die Antragstellung?
Für alle Träger / Arbeitgeber gilt, dass derjenige, der einen Antrag auf Erteilung eines erweiterten Führungszeugnisses stellt, diesem eine Bestätigung beizufügen hat über das Vorliegen der in § 30a BZRG genannten Voraussetzungen.

IV. Gibt es weitere wichtige Punkte?
1.
Wichtig ist, dass Vereine nicht zwingend verpflichtet sind, bzgl. sämtlicher Mitarbeiter(inne)n, die in der Kinder- und Jugendarbeit ehrenamtlich eingesetzt sind, ein solches erweitertes Führungszeugnis zu verlangen und ggf. sogar die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses hiervon abhängig zu machen.
Denn für die Vereins- und Verbandsarbeit ist dies kein Muss.

Der neue § 30a Abs.1 BZRG eröffnet folgende Möglichkeiten:
Ein staatliche Stelle (Bsp.: das Jugendamt) kann einen Verein oder Verband z.B. durch Vertrag oder auch im Rahmen einer Auflage in einem Zuwendungsbescheid o.ä. verpflichten, die Mitarbeiter nach § 72a SGB VIII zu überprüfen.
Außerdem kann selbstverständlich jeder Verein von sich aus entscheiden, sein eigenes Personal (in regelmäßigen Intervallen) zu überprüfen.

2.
Zu beachten ist des Weiteren, dass für rein ehrenamtliche Mitarbeiter die Entscheidung zur Überprüfung ebenfalls beim Verein bzw. Verband liegt.
Aus § 72a SGB VIII bzw. den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass es zunächst um die Prüfung der Eignung des hauptamtlichen Personals durch das erweiterte Führungszeugnis geht.
Für rein ehrenamtliche Mitarbeiter ist dies aus dem Gesetz nicht zwingend
abzuleiten, sodass hier die Entscheidung beim Verein liegt.

V. Wie verhält man sich in Verdachtsfällen bzw. bei Vorwürfen?

In Verdachtsfällen ist der Verein bzw. Verband selbstverständlich bereits im Interesse des Opferschutzes, der Vermeidung von Wiederholungsfällen usw. gehalten Aufklärungsarbeit zu leisten und zu reagieren.
Jedoch ist Vorsicht geboten, was nachfolgende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 19. Mai 2010, Az.: 1 U 49/09, zeigt:
Das OLG Frankfurt am Main hat nämlich einem Sozialpädagogen Schadensersatz zugesprochen, weil dieser - u.a. gegenüber dem Arbeitgeber - zu Unrecht (bzw. zumindest nicht beweisbar) wegen Kindesmissbrauchs verdächtigt worden war. Es stelle lt. OLG eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, wenn ein unnötig großer Personenkreis über einen derartigen Verdacht unterrichtet werde.

1. Der Sachverhalt
Der Kläger nahm erfolgreich die Beklagte auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen betreffend den sexuellen Missbrauch eines Kindes und auf Schadensersatz in Anspruch. Er hatte das betroffene Kind im Rahmen eines Schülerprojekts und als Fußballtrainer betreut.
Die beklagte Psychotherapeutin gelangte im Rahmen einer therapeutischen Behandlung des Kindes zu der Einschätzung, es bestehe der Verdacht, dass der Kläger das Kind in den Jahren 2004 und 2005 sexuell missbraucht habe. Hierüber sprach sie nach Ende der Behandlung mit verschiedenen Personen, u.a. auch mit dem Arbeitgeber des Klägers, einem gemeinnützigen Verein. Der Kläger verlor seine dortige Arbeitsstelle und gab seine Tätigkeit als Pädagoge und Fußballtrainer auf. Der Kläger führt all dies auf die Verdächtigungen der Beklagten zurück. Ein gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, die Beklagte habe den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt. Die Unterrichtung des gemeinnützigen Vereins, für den der Kläger gearbeitet habe, sei zum Schutz des Kindes erforderlich gewesen. Auf die Berufung des Klägers hob das OLG das Urteil auf und gab der Klage statt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

2. Die Gründe:
Die Beklagte hat die mit der Klage angegriffenen Äußerungen zu unterlassen. Der Kläger hat Anspruch auf eine Entschädigung von  2.000Euro und auf die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem durch ihre Äußerungen entstanden ist.
Die Beklagte hat den Kläger rechtswidrig und schuldhaft in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, indem sie einen unnötig großen Personenkreis über ihren Verdacht unterrichtete. Sie hätte sich darauf beschränken müssen, ihren Verdacht gegenüber den für die Aufklärung zuständigen Behörden - städtische Stellen für Kinderschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft - zu äußern. Die Unterrichtung des Arbeitgebers des Klägers sowie anderer Personen hätte sie damals jedoch unterlassen müssen.
Soweit sich die Beklagte darauf berufe, sie habe dies zum Schutz des Kindes für erforderlich gehalten, hätte es genügt, die zuständigen Behörden auf diese Einschätzung hinzuweisen. Bei der Bemessung der Entschädigung war zu berücksichtigen, dass der Verdacht der Beklagten zusätzlich als unberechtigt behandelt werden muss. Da das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingestellt wurde, gilt für diesen die Unschuldsvermutung.